Bürger zweiter Klasse, Koalitionsverhandlungs-Edition

Kürzlich schrieb ich über den unerträglichen Habitus der FAZ, alles unterhalb der Schwelle zum Spitzensteuersatz als grundsätzlich illegitime Forderungen zu betrachten, während der echte, vollwertige und mündige Bürger über so blasalen Dingen wie dem Mindestlohn steht und diese als das erkennt, was sie sind: Umverteilungsmaßnahmen von den hart arbeitenden, ihr Geld echt verdienenden Bürgern zu der zweiten Klasse der „takers„, deren Forderungen frivole, ungerechtfertigte, sicherlich unverdiente aber bedauerlicherweise manchmal politisch notwendige sind. Das hier zu bestaunende framing der FAZ Woche fällt, einmal abgesehen von den grausigen Gender-Klischees, genau in diese Kategorie. Wenig überraschend möchte die SPD in den Koalitionsverhandlungen etwas durchsetzen, der Preis für eine weitere ungeliebte schwarz-rote Koalition („Große“ kann man sie wahrlich nicht mehr nennen). Ätzend wird der Untertitel: „Jetzt muss Merkel um Schul werben – Wie teuer wird das für Deutschland?“

Ich kann mich nicht erinnern, die Forderungen der FDP in den Jamaika-Verhandlungen auf diese Art dargestellt gesehen zu haben. Obwohl der Preis der FDP-Politik enorm ist – langfristige Umweltschäden, eine weitere Zerrüttung der EU, die weitere Verschleppung dringend notwendiger Infrastrukturreformen und der Verfall der Substanz – war hier nie die Rede davon, dass man Lindner umwerben und einen Preis für ihn zahlen müsse; stattdessen waren das harte zu debattierende Sachfragen. Was hier einmal mehr offenkundig wird ist die Verachtung, die aus liberal-konservativer Ecke gegenüber Politik gepflegt wird, die nicht zuerst die Aktiendepots, Zweitwagen und Privatschulen der oberen 10% im Blick hat. Deren Forderungen und Anliegen sind nämlich wichtig.

Wenn die SPD dagegen für Reformen in der EU eintritt, wird nicht debattiert wie sinnvoll das ist, welche Vor- und Nachteile das hat und was die Alternative ist, nein, stattdessen bedient man das proto-nationalistische Narrativ, mit dem man schon dem ersten Aufstieg der AfD damals 2012/2013 Schützenhilfe geleistet hat: was kostet das Deutschland? Stellt euch einmal die Frage, was es uns kostet, wenn wir all diese Dinge nicht machen. Wenn die Spaltung zwischen Arm und Reich weitergeht, wenn die EU weiterhin mit disfunktionalen Systemen dahinhinkt, wenn das Klima sich weiter in Richtung von 4°C und mehr erwärmt.

Aber Hauptsache, wir haben die Vermögenssteuer abgewendet, die Erbschaftssteuer bleibt der aktuelle Witz auf Rädern, die Aussicht auf die grünen Hügel der Vorstadt bleibt von Windrädern ungetrübt und die Schmuddelkinder wohnen in den Slums, die man nicht sehen muss. Das alles sind nämlich die Anliegen echter, besorgter Bürger. Der ganze Rest kostet „uns“ nur. Die blasierte Arroganz ist zum Speien, und dass es der SPD und ihren Verbündeten nicht gelingt, dem ein vernünftiges Narrativ entgegenzusetzen, ja, dass sie es nicht einmal versucht und eher den Eindruck erweckt, ihr eigenes Programm sei ihr peinlich, setzt der ganzen Schmierenveranstaltung nur die Krone auf.

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  • Ant_ 3. Dezember 2017, 10:19

    Ja. Dazu Anmerkungen:
    1) Eine Loslösung der SPD aus diesem Framing würde echte politische Führung benötigen, plus die Bereitschaft sich einzugestehen, dass Hartz4 definitiv zumindest komplett anders hätte gemacht werden müssen. (Weil das Gegennarrativ dazu ein angelsächsisch angehauchter Keynsianismus wäre, und da sind viele Entscheidungen der letzten Jahre echt mistig gewesen – das könnte man dann auch als ein Einlenken Deutschlands auf den internationalen Konsens und mehr Kooperation framen..)
    2) Dass der status quo auch Kosten hat, kriegt aktuell irgendwie keine Partei vermittelt, noch nicht einmal die Grünen – und bei denen ist das eigentlich Konsens. Ist halt schwierig, status quo bias ist halt echt ziemlich stark, und bei einem Großteil der Probleme wird es „uns“ erst schlecht gehen, wenn die anderen schon echt richtig arm dran sind. Ich denke der erste wirkliche Schlag wird Mitte nächsten Jahres kommen wenn endlich alle total aus den Wolken fallen, dass der hard brexit jetzt wirklich kommt, weil echt nicht mehr genug Zeit ist für Verträge+Akkreditierung – das wird für GB echt mies werden, aber das wird man hier in Deutschland auch echt merken, und dann vielleicht anfangen zu realisieren, dass aktuell noch einige ähnliche Zeitbombem fröhlich vor sich hin ticken…(Ich meine, da hängt letztlich die Ireland-Frage mit dran, und der Terror dort hat vor 20 Jahren geendet, nur mal so als Erinnerung)
    3) Wikipedia sagt dass die FAZ letztes Jahr 256.188 Kopien im Umlauf hatte. Selbst wenn jede Kopie von 4 Leuten gelesen wird, sind das noch nicht mal 2% der Bevölkerung. Warum gibt der Rest der Bevölkerung dieser Meinung so viel Legitimität über Nicht-Widerspruch? Reicht da, dass man gewisse Ressentiments teilt, und irgendwie hofft dann irgendwann auch „dazu zu gehören“, oder sich mental schonmal lieber mit diesen Menschen identifiziert? Stimme mit dir ja überein, dass die SPD sich hier ihr Narrativ stricken sollte, aber wie kriegt man dieses Narrativ auch populär? So eine Respektabilitäts-Rhetorik einfach andersrum aufziehen? „Wie können Sie es nur wagen, so despektierlich über die genauso legitimen Forderungen im politischen Wettstreit Ihrer gleichberechtigten Mitbürger*innen herzuziehen? Diese Menschen sind genauso am Wohlergehen des Gemeinwesens in unserem tollen Land interessiert wie Sie, nur aus einer anderen, gleich richtigen und wichtigen Perspektive!“? *seuftz*

    • Stefan Sasse 3. Dezember 2017, 10:52

      1) Ja.
      2) Ich fürchte, das wird nur selbstzufriedenes Grinsen auslösen.
      3) Meinungsführerschaft ist halt was, das es gibt. 🙂

    • Ariane 3. Dezember 2017, 17:24

      Zustimmung. Und es ist ja nicht nur die FAZ, obwohl die diese Attitüde vermutlich am ehesten perfektioniert haben. Die Welt hatte vor kurzem zb einen Videokommentar, warum Offshorekonten für „uns alle“ total wichtig sind (Spoiler: damit die Finanzminister aller Länder nicht zu gierig werden) und generell ist das Narrativ unheimlich einflussreich (auch weil dem kaum etwas entgegengesetzt wird).

      Es kommt imo noch etwas dazu: eine allgemeine Obsession mit Zahlen und Kosten und Gesetz XY lässt sich da leichter berechnen als Gutmenschengedöns (Schutz der Umwelt, sozialer Zusammenhalt, etc). Nach Abbruch der Sondierungen gab es wahnsinnig viele Artikel, wieviel eine Neuwahl denn nun schon wieder kosten würde, was so ziemlich der nebensächlichste Aspekt der ganzen Misere sein dürfte (auch hier eben wieder, weil der immaterielle Schaden immens größer wäre).

      • Stefan Sasse 3. Dezember 2017, 18:24

        Die Kosten der Wahl sind so lachhaft verglichen mit dem Schaden, den die Alternative bringen würde.

  • Erwin Gabriel 3. Dezember 2017, 10:50

    @ Stefan Sasse

    Vorab: Weinerlich sind offenbar nicht nur die AfDler…

    Zum einen verstehe ich den Sinn Ihres Artikels nicht. Lassen Sie die FAZ doch schreiben, was sie will. Es gibt genug andere Zeitungen und Magazine, die sich in Ihrem Sinne äußern, und die „linke“ Standpunkte genauso einseitig und unreflektiert darstellen, wie die FAZ das in der Gehenrichtung macht.

    Dann ist die Frage nach den Kosten legitim, nicht nur bei der SPD oder FDP, sondern auch bei den Grünen oder bei CDU/CSU.

    Dann habe ich bei Ihnen immer wieder das Gefühl, dass Sie bestimmten Dingen einen Wert zumessen, den sie nicht haben (können). „Mehr Europa“ ist solch ein Ding, das, für sich betrachtet, keinen Wert darstellt. Man kann „mehr“ gut oder schlecht machen, und so, wie „mehr“ aktuell gedacht und gemacht wird, gibt es genug Länder (nicht nur Großbritannien), die sich da nicht wiederfinden. Macron hat nicht das Wohl Europas, sondern das Wohl Frankreichs im Auge, egal, wie er das verpackt.

    Zu Ihrem Kommentar zur FDP sage ich mal lieber nix, außer „ist so halt falsch“. Da scheint Ihnen der FAZ-Artikel wirklich die Laune verhagelt zu haben.

    Es grüßt
    E.G.

    • Stefan Sasse 3. Dezember 2017, 10:53

      Weil die FAZ nur pars pro toto ist und halt einen ganz schönen Einfluss hat.

      • Erwin Gabriel 4. Dezember 2017, 10:38

        @ Stefan Sasse 3. Dezember 2017, 10:53

        Weil die FAZ nur pars pro toto ist und halt einen ganz schönen Einfluss hat.

        Nicht falsch. Kleiner Trost: Davon werden sich keine SPD- und Linken-Wähler, fast kein Grünen- oder CSU-Wähler, und nur wenige CDU-Wähler beeinflussen lassen.

        es grüßt
        E.G.

    • CitizenK 4. Dezember 2017, 16:30

      Das Wohl Frankreichs könnte mit dem Wohl Europas und damit auch mit dem Wohl Deutschlands zusammenfallen. Zumindest beträchtliche Schnittmengen aufweisen.

      Macron „kostet“? Was hätte LePen gekostet? Was würde/wird eine AfD-Politik kosten?

      • Stefan Pietsch 4. Dezember 2017, 18:40

        Ja, das ist die Argumentation von französischen Politikern seit Gründung der EU. Es passiert jedoch selten, dass sich ein deutscher Normalbürger sich den alten Gloria-Gedanken der Grande Nation zu eigen macht. So etwas habe ich tatsächlich selten gelesen.

        Sie beschreiben die EU als Monolith, wo jeder politisch Interessierte sehen kann, dass die Gemeinschaft alles andere als das ist. Frankreich ist seit sehr langer Zeit Führsprecher der Südstaaten, die unser Nachbarland dafür bei wichtigen Abstimmungen unterstützen. So schöne Staaten wie die Niederlande, Dänemark, Schweden, die Balten, Österreich und derzeit auch noch Großbritannien vertrauen auf das Gewicht Deutschlands. Für viele Franzosen ist Deutschland Vorbild, seine politische Stabilität, seine auf Ausgleich beruhende Tariflandschaft, seine Wirtschaftskraft, sein Sozialgefüge.

        Die EU-Länder haben keine gleichgerichteten Interessen. Wir müssen aufpassen, dass dieses Gebilde nicht auseinanderbricht. Das wäre dann nicht die Schuld deutscher Dogmatiker, sondern von politischen Phantasten.

        • Stefan Sasse 4. Dezember 2017, 20:32

          Genau diese Gewichtungen in der EU machen einen Kompromiss mit Frankreich nötig. Wie ich beschrieben habe ging Macron bei einigem bereits in Vorleistung. Deutschland sollte einen tragfähigen Reformkompromiss eingehen anstatt darauf zu bestehen, dass alles nach seinem Gutdünken zu laufen hat. Das fährt die EU an die Wand.

          • Stefan Pietsch 4. Dezember 2017, 21:51

            CitizenK hatte ja eben nicht von Kompromiss geschrieben, sondern dass Deutschland auf die Linie Frankreichs einschwenken sollte – zum eigenen Vorteil und der gesamten EU. Natürlich müssen sich die führenden Nationen der Union immer verständigen.

            Aber nehmen wir das Beispiel Bankenunion: würde die Sparerhaftung ohne entsprechende Ansparungen in den Südstaaten bereits vorher gemeinschaftlich organisiert, wären die Deutschen die Gekniffenen, die über Jahrzehnte das umfangreichste und betragsmäßig stärkste Sicherungssystem aufgebaut haben. Deutsche Sparer haben kein Problem, wenn in Athen eine Bank bankrott geht und die Sparer ihre Einlagen verlieren. Für die Betroffenen eine Katastrophe, keine Frage. Aber die Verhinderung durch Transfer von Fonds in Gemeinschaftstöpfe nicht zwingend im deutschen Interesse.

            • Erwin Gabriel 4. Dezember 2017, 23:35

              @ Stefan P.

              Das sehe ich ähnlich. Ich habe grundsätzlich kein Problem damit, dass Deutschland als stärkste EU-Nation bei über 20% zum Haushalt beiträgt. Müssen aber nicht 30% oder 40% werden, und mich stört der oft selbstverständliche Anspruch hinter Forderungen wie der Verallgemeinerung von EU-Schulden, Sozialhilfe, Bankenfonds.

            • Stefan Sasse 5. Dezember 2017, 11:12

              Ich habe das Gefühl, dass sich Frankreich unter Macron mehr bewegt als Deutschland unter Merkel.

              • CitizenK 5. Dezember 2017, 18:45

                #In Dubio

                Was ich nicht verstehe: Macron steht ideologisch Ihnen doch näher als mir. Wenn er scheitert, ist auch die EU am Ende, von der doch die deutsche Wirtschaft erheblich profitiert. Wenn Macron sagt, dass er mit Lindner „erledigt“ gewesen wäre, sprich das doch Bände.

                Auch volkswirtschaftlich gibt es Opportunitätskosten, das müssten Wirtschafts-„Fachleute“ doch eigentlich wissen.

                btw: Beim Breitband-Ausbau sind die Länder vorn, in denen der Staat das übernommen hat. Deutschland verlässt man sich immer auf die Privatwirtschaft und ist immer noch digitales Entwicklungsland.

                • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 19:26

                  Das kann man so oder so sehen. Sie stehen mir kulturell näher, was nicht unerheblich ist. Ich finde die Wirtschafts- und Arbeitsmarktreformen, die Macron eingeleitet hat, richtig. Sicher, aber sie vollziehen sich nicht lehrbuchmäßig. Das tun sie nie, weil Politik kein Lehrbuch ist. Aber Macron ist halt auch Franzose, er ist den französischen Bürgern wie der gallischen Geschichte verpflichtet. Frankreich wollte die Europäische Union und den Euro aus anderen Motiven und Interessen wie Deutschland. Das sind nationale Gesichtspunkte. Also werden wir auch nie die gleichen Interessen und Ziele haben. Für Frankreich ist der BREXIT kein Drama, für Deutschland schon, es verliert einen langjährigen, mächtigen Verbündeten.

                  Bei der Formulierung der Maßnahmen zur Vertiefung der Union ist kaum die Rede von den Zielen und Gründen, weshalb die EU einstmals gegründet wurde: Märkte liberalisieren, Unternehmen und Marktteilnehmer von nationalen Auflagen befreien. Es dominiert eine Abwehrhaltung: mehr Sozialschutz, institutionalisierte Transfers von reichen in arme Länder ohne Blick auf regionale Gegebenheiten etc. Es ist das, wie Frankreich Wirtschaftspolitik immer verstanden hat – aber nicht Deutschland mit seinem starken angelsächsischen Einfluss nach dem 2. Weltkrieg.

                  Auch volkswirtschaftlich gibt es Opportunitätskosten, das müssten Wirtschafts-„Fachleute“ doch eigentlich wissen.

                  Das ist ein Totschlagsargument. Wie hoch wäre der Preis für unsere europäischen Partner gewesen, wenn wir uns bei der Bundestagswahl geleistet hätten, was sie sich geleistet haben. Wenn die AfD 30 Prozent erhalten hätte, wenn eine Partei aufgetreten wäre, die eine völlige Revision der Europäischen Verträge gefordert hätte, wenn wir dazu noch eine europafeindliche Linke mit 20% im Parlament gehabt hätten? Tatsächlich hat Deutschland sich in den letzten Jahren bemüht, die Dummheiten anderer Nationen solide aufzufangen. Wir können es uns nicht leisten so infantil wie die Griechen zu wählen und zu demonstrieren, die einerseits völlige politische Autonomie forderten und gleichzeitig einen breiten Transferkanal direkt in den Athener Staatshaushalt.

                  Und wenn im nächsten Jahr die Italiener der 5-Sterne-Partei des Populisten Grillo eine parlamentarische Mehrheit verschaffen, dann ist der Euro am Ende ohne dass wir etwas dagegen tun können. Verhindern können wir es nur, wenn wir den Italienern vorab unsere Steuereinnahmen und Sparguthaben verpfänden, das könnte die Stiefelbewohner vielleicht noch besänftigen.

                  Wir müssen stattdessen darüber reden, das nationale und regionale Rückständigkeit viel mit Strukturen zu tun haben, Verhältnisse, die meist nur eine nationale Regierung ändern kann. Doch das kam im Ansatz von Macron nicht vor, Menschen sind nicht an schlechten Verhältnissen schuld, das ist Schicksal.

                  Beim Breitband-Ausbau sind die Länder vorn, in denen der Staat das übernommen hat.

                  Bei Infrastruktursachen hat immer einer den Hut auf und ist der führende Innovator. Google ist es gelungen, im Netz ein Infrastrukturnetz zu errichten, Facebook genauso. Doch seltsamerweise loben Sie hier nicht die Innovationskraft, sondern verdammen den Missbrauch von Macht.

                  In Deutschland ist der Staat seit Jahren der Hemmschuh. Die Bundesregierung schafft es seit Jahren nicht, interessierten Firmen Rechtssicherheit zu geben, weil die Politik unfähig ist, Zielkonflikte zu entscheiden. Deutsche Behörden akzeptieren auch über 20 Jahre nach der ersten E-Mail keinen digitalen Versand von Unterlagen, Klagen und Anträgen. Sie verlangen vom Bürger auch im Jahr 2017 noch die postalische Einreichung oder, noch besser, per Fax. Viele Bürger wissen jedoch nicht mal mehr, was ein Fax ist. Wie es anders geht, zeigen die Balten, die Deutschland inzwischen eine Generation voraus sind. Unternehmen verzichten beim digitalen Austausch eher auf Rechtssicherheit, als sich auf den langsamen Staat zu verlassen.

                  Wir haben keinen investiven Staat, sondern einen fürsorgenden. Das sind sehr langfristige Festlegungen mit Konsequenzen. Ich bin sehr für den investiven, aber mit den Einschränkungen zu Lasten den Fürsorge wären Sie nicht einverstanden. Sie scheinen nach der Eierlegendenwollmichsau zu suchen.

                  • CitizenK 5. Dezember 2017, 20:47

                    „Doch seltsamerweise loben Sie hier nicht die Innovationskraft, sondern verdammen den Missbrauch von Macht.“

                    Dazu habe ich doch gar nichts gesagt. Die Innovationskraft von Google ist unbestritten gewaltig und bringt riesige Vorteile für die Menschen, gar keine Frage. Macht- und Datenmissbrauch stehen auf einem anderen Blatt.

                    Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass bei der Infrastruktur auch mal der Staat vorangehen muss, wenn Privatunternehmen das nicht tun wegen kurzfristigen Ertragsüberlegungen. Sie behaupten ja immer, dass der Staat das nicht kann und NIE tun sollte. Tesla mit seinen Ladestationen ist ein Beispiel dafür, dass der Staat hier auch versagt.

                    • Stefan Pietsch 5. Dezember 2017, 21:53

                      Aber Sie behaupten nichts, was ich bestritten habe. Nur ist es häufig riskant, wenn der Staat versucht, selbst Trends zu setzen. Die Gefahr, dabei Milliarden von Steuergeld zu versenken, ist immens und legendär. Es ist genauso wenig eine neue Erkenntnis, dass der deutsche Staat seinen Schwerpunkt in anderen Themenfeldern sieht.

                      Schauen Sie z.B. die Entwicklung elektronischer Standards. Jahrelang lieferten sich die Firmen hinter HD und BlueRay einen erbitterten Kampf um den zukünftigen Standard für hochauflösende Datenträger. Das kostete das unterlegene Konsortium einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag. Aber es kostete eben kein Steuergeld. Was der bessere Weg ist, muss man im Einzelnen sehen. Meine Sicht: bei bekannten, schon einige Zeit im Markt eingeführten Techniken kann es vorteilhaft sein, wenn der Staat leitet. Genau das sehe ich aber bei der zukünftigen Antriebstechnologie nicht als gegeben an. In diesem Bereich ist momentan wieder viel Bewegung, vom Elektromotor über neue Wasserstoffantriebe bis hin zu synthetischen Brennstoffen. Wenn der Staat sich hier frühzeitig richtungsgebend einmischt, ist die Gefahr groß, Chancen zu verpassen.

              • Erwin Gabriel 6. Dezember 2017, 02:13

                @ Stefan Sasse 5. Dezember 2017, 11:12

                Ich habe das Gefühl, dass sich Frankreich unter Macron mehr bewegt als Deutschland unter Merkel.

                Zustimmung (ist ja derzeit auch nicht sonderlich schwer, beweglicher als Deutschland zu sein). Aber auch „Bewegung“ ist eine Sache, die keinen Wert an und für sich hat; die Richtung macht’s aus.

                Nun mag Macron Reformen angehen und sich in die richtige Richtung bewegen; aber selbst dann holt er nur ansatzweise nach, was jahrzehntelang versäumt wurde. Und offenbar scheint er seine Reförmchen auch nur dann zu schaffen, wenn er seiner Bevölkerung erklären kann, dass Deutschland zahlt.

                • Stefan Sasse 6. Dezember 2017, 06:20

                  Und wenn?

                • popper 8. Dezember 2017, 10:07

                  „Nun mag Macron Reformen angehen und sich in die richtige Richtung bewegen; aber selbst dann holt er nur ansatzweise nach, was jahrzehntelang versäumt wurde. Und offenbar scheint er seine Reförmchen auch nur dann zu schaffen, wenn er seiner Bevölkerung erklären kann, dass Deutschland zahlt.

                  Es mag ja befriedigend sein, sich in diesem diffusen Meinungs-Brei zu suhlen. Nur, damit zeigt man auf erschreckende Weise, dass man eben das Essentielle daran nicht kapiert hat. Denn, Reformen klingen zwar gut, bedeuten aber im neoliberalen Neusprech Sozialabbau und Lohnkürzungen, Steuersenkungen für Unternehmen und Abbau von Arbeitnehmerrechten sowie last but list den Ausverkauf des Staates, euphemistisch Privatisierung genannt. Und was nie fehlen darf ist das tradierte Märchen von den zahlenden Deutschen oder allgemeiner von den Steuerzahlern in Europa, die die Zeche für marode Staaten und Banken zahlen.

                  Wer sich in diesem Nebel der Suggestion verfängt, ist wirklich ein bemitleidenswerter Tropf. Denn offensichtlich akzeptiert er masochistisch die permanenten Tritte in seinen Allerwertesten als ein wohliges Nudging auf dem neoklassischen Gesundungsprozess einer angeblich selbst verschuldeten Unmündigkeit. Er liebt geradezu den Fake, der ihm als Glück der Geschichte endlich bewusst macht, dass sein Mangel an Einsicht in die heilenden Kräfte des Marktes, die eigendliche Ursünde und Vetreibung aus dem Paradies des homo oeconomicus ist. Philosophisch betrachtet könnte das heißen: Eine Welt voller Knallchargen ist eben nur dann erträglich, wenn man sich rechtzeitig an die Spitze der Bewegung setzt.

  • popper 8. Dezember 2017, 11:07

    „Und wenn im nächsten Jahr die Italiener der 5-Sterne-Partei des Populisten Grillo eine parlamentarische Mehrheit verschaffen, dann ist der Euro am Ende ohne dass wir etwas dagegen tun können. Verhindern können wir es nur, wenn wir den Italienern vorab unsere Steuereinnahmen und Sparguthaben verpfänden, das könnte die Stiefelbewohner vielleicht noch besänftigen.“

    Das schreibt einer, der andere dafür brandmarkt, weil sie angeblich über Dinge reden, von denen Sie nichts verstehen. Die erste Frage wäre, warum ist der Euro am Ende, wenn die „Cinque stelle“ an die Regierung kommt. Und was soll der Unsinn mit dem Verpfänden von Sparguthaben und Steuereinnahmen an die Italiener. Glauben Sie immer noch an diese lächerliche Loanable Funds Theory, die Banken zu Intermediären macht und damit behauptet, ein Kredit setze eine Ersparnis voraus. Wie es in ihrer Geschichte der Verpfändung anklingt, glauben Sie offenbar, wir müssten den Konsum oder die Investitionen der Südländer vorfinanzieren, indem wir denen unser Geld bzw. Ersparnisse geben. Völliger Unsinn. Im Übrigen, ein Kredit ist keine Verpfändung, sondern ein Schuldverhältnis bestehend aus gegenseitigen Verbindlichkeiten (Forderung, Verpflichtung). Der Prof. Sinn redet auch diesem Unsinn das Wort, indem schon mal behauptet, durch die Weggabe unserer Ersparnisse ans Ausland fehle das Geld für Kredite im Inland. Alles Blödsinn. Ebenso wie diese Heinsohnsche Verpfändungstheorie, die Sie hier anklingen lassen.

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