Wann Medien als vierte Gewalt fungieren

Wolfgang Michal und Frank Lübberding haben eine interessante Debatte darüber in Gang gesetzt, ob Medien überhaupt als „vierte Gewalt“ gesehen werden können oder ob sie nicht einfach ständig das Fazit vom „schön, dass wir darüber geredet haben“ reproduzieren, ehe sie den nächsten Skandal aufgreifen oder schaffen. Tatsächlich scheint es so, als ob das größte Problem, wie Michal es anspricht, die mangelnde Verantwortlichkeit von Medien „in the long run“ ist. Nur, wie verbesser man das? Sehen wir uns an, wie Medien überhaupt als vierte Gewalt fungieren können.

Zuerst einmal sei darauf hingewiesen, dass die Vorstellung, eine Sammlung profitorientierter Unternehmen könnte irgendwie als „vierte Gewalt“ fungieren und demokratisch gewählte Institutionen überstimmen ohnehin etwas anmaßend ist.  Die Funktion der Medien – neben dem Erwirtschaften von Profit und dem Propagieren der Meinung ihrer Besitzer – ist vor allem die Schaffung von Öffentlichkeit. Ohne Medien wäre der Zugang zu Informationen in höchstem Maße beschränkt und auf reines Hörensagen sowie staatliche Propagandastellen reduziert, etwa nach dem Vorbild der Ausrufer im Alten Rom. Wir erfahren von vielen Dingen überhaupt nur durch die Medien.

Auf der anderen Seite sorgt dies natürlich für eine Abhängigkeit, denn wir erfahren sie auch nirgendwo anders her. Gleichzeitig sorgt die Profitorientierung des Medienbetriebs dafür, dass die Nachrichten verkauft werden müssen, und es verkauft sich praktisch nur, was neu ist – deswegen dreht sich die Skandalmaschine auch immer so rasant, werden selbst die winzigsten Details ausgeleuchtet und breit getreten, solange sie nur für die breite Masse verständlich ist (Beispiel Prism: was genau das Programm eigentlich tut weiß niemand, aber dass die USA Snowden jagen und wo der Kerl angeblich gerade ist, das weiß jeder). Und hier liegt die Crux: eine Verantwortlichkeit der Medien über die Halbwertszeit des Skandals hinaus Öffentlichkeit herzustellen steht in direktem Gegensatz zur Profitorientierung. Wenn niemand etwas über Fukushima lesen möchte, weil die Explosion schon vier Monate zurückliegt, wäre es ökonomischer Selbstmord, eine Titelgeschichte über die Verschleierungstaktiken der japanischen Regierung zu bringen.

Die größte Durchschlagskraft haben Medien als Korrektiv daher immer in Wahlkampfzeiten. Hier können es sich die beteiligten politischen Akteure nämlich nicht leisten, den Skandal auszusitzen, sondern müssen möglichst schnell aktiv werden, um den Medien den Wind aus den Segeln zu nehmen – siehe Merkels Atomausstiegsausstiegsausstieg 2011. Die nächstbeste Möglichkeit ist, wenn die Medien als Katalysator für eine ohnehin überfällige Entwicklung dienen – den Abschuss von Karl Theodor Guttenberg beispielsweise, der nicht gerade Unterstützung aus seiner Partei erfahren hat, oder Wulffs Rücktritt. In all diesen Fällen aber trat der entsprechende Effekt relativ zeitnah ein, solange noch über neue Entwicklungen berichtet werden konnte. Wenn einmal die mediale Munition ausgeht, ist es vorbei. Das Thema wird dann auch nicht mehr aufgegriffen, denn nur ein neuer Skandal bietet die Gewähr von Absatz, während ein simples Aufgreifen und Überprüfen sich nicht verkauft und daher auch nicht gemacht wird.

Die Schuld liegt daher nicht nur bei den Medien, die in ihrer ohnehin völlig überstilisierten Rolle als vierter Gewalt versagen. Die Schuld liegt bei der Masse der Bürger, die sich nicht oder nicht ausreichend für politische Prozesse interessieren und daher anfällig für Personalisierung und Skandalisierung sind. Das ist kein moralisches Urteil – es ist völlig in Ordnung, sich nicht richtig zu informieren und sich nicht zu interessieren, denn beides frisst extrem viel Zeit und ist aufwändig, und viele Menschen sind nicht bereit, so viel Zeit zu investieren. Selbst wir, die man wohl als Politjunkies bezeichnen kann, haben von verschiedenen Bereichen überhaupt keine Ahnung, weil uns schlicht die Zeit und Energie für eine entsprechende Einarbeitung fehlt. Die Lösung dieses Problems bei den Medien zu suchen führt zwangsläufig in die Irre. Ob es überhaupt gelöst werden kann und nicht einfach der Demokratie inhärent ist, bleibt unklar.

{ 14 comments… add one }
  • CitizenK 25. Juni 2013, 19:37

    Dieses Janusgesicht haben ja nicht nur die Medien. Landwirte sorgen für Lebensmittel, Ärzte heilen, Monteure reparieren lebensnotwendige Geräte – und alle verdienen damit ihren Lebensunterhalt.

    Sicher: Bei den Medien kommt hinzu, dass die Grenze zwischen Information und Manipulation immer unscharf bleiben wird. Verstaatlichung ist auch keine Lösung.

    Ohne Berufsethos geht es nicht. Bei den Ärzten hat man es mit dem Hippokratischen Eid versucht, mit überschaubarem undweiter abnehmendem Erfolg. Wenn wir die Profitfixierung in den Köpfen nicht reduzieren können, geht es weiter abwärts mit der Demokratie. Keine Frage.

  • Ariane 26. Juni 2013, 00:26

    Hm, ich finde Lübberdings Artikel überzeugender. Was Michal verlangt ist letztendlich, dass die Medien selbst zum politischen Player (in den Dingen, die er für wichtig hält) werden. Das führt aber direkt in Richtung Manipulation, er hätte vielleicht gerne, dass Japan auf Atomkraft verzichtet, andere dass die Steuern hier niedriger wären und die Löhne sinken usw.
    Und – was er auch übersieht imo – ist, dass die Medien nicht im luftleeren Raum agieren, sondern das öffentliche Interesse eben auch die weitere Berichterstattung bestimmt. Wenn die Leute mehr zu Guantanamo lesen wollen würden, würde das auch veröffentlicht, aber die Menschen wollen halt lieber Fußball und Wulffs Bobbycar. Das fällt heute vermutlich mehr auf, aber ich glaube, das war schon immer so. In Rom hat man sich auch lieber über Kleopatra aufgeregt als über den korrupten Villenbesitzer von nebenan. Das kann man (vermutlich) gar nicht richtig steuern oder beeinflussen oder nur mit massiver Gehirnwäsche, was ja auch keiner will.

    • Stefan Sasse 26. Juni 2013, 08:08

      Ich denke, eine Überprüfung von Langzeitwirkungen und der Konsistenz politischer Maßnahmen wäre schon wünschenswert, ist aber kaum zu machen.

    • Manfred 2. Juli 2013, 22:54

      Nein, Ariane, das will Wolfgang Michal gar nicht. Er packt die Medien lediglich beim selbstgestellten Anspruch, die vierte Gewalt im Staate zu sein, die sie nicht erfüllen, weil die Öffentlichkeit andernfalls tatsächlich Fehlentwicklungen korrigieren könnte.
      Ich kenne das aus dem eigenen Alltag: Seit bald viereinhalb Jahren fahre ich jetzt schwarz, um für ein Sozialticket zu einem sozial bezahlbaren Preis zu demonstrieren. Die GRÜNEN hatten vor Jahren noch aus der Opposition heraus einen Antrag auf Einführung eines SozialPasses in den Mainzer Stadtrat eingebracht, der an den Sozialausschuss verwiesen wurde. Und da liegt er noch heute! Aufgabe der Medien als vierte Gewalt wäre es nun, beim Sozialausschuss unablässig aufzulaufen, nach dem SozialPass zu fragen, zu drängeln und zu bohren, woran es liegt, dass es so lange dauert. Das tun sie aber nicht. Und dazu müssen sie sich weder mit meiner Aktion identifizieren oder mit meiner Sache gemein machen. Sie müssten nur fragen, wann der Stadtrat endlich in der vom Sozialausschuss vorzubereitenden Sache entscheiden kann!

  • Wolfgang Waldner 26. Juni 2013, 07:32

    Die Massenmedien sind genau das, was ihr Name schon sagt: Massenmedien, um die Massen zu steuern. Also zum Beispiel Panik über den großen GAU von Fukushima in die deutschen Wohnzimmer zu tragen, wo die Leute dann glauben, dass halb Japan radioaktiv verstrahlt worden sei und wir die vielen Verstrahlten nur nicht zu sehen bekommen, weil die japanische Regierung sich mit der Atomindustrie verschworen hat. Aber wenigstens Deutschland ist aus der Atomkraft ausgestiegen und betreibt seine Wirtschaft in Zukunft mit Windrädchen und rettet das Weltklima und die Handelsbilanz der USA.

    Die Propagandaschleudern des Systems haben das Publikum auch überzeugt, dass ein furchtbarer Präsident Syriens Giftgas im Bürgerkrieg einsetzen würde, um die von der Nord-Atlantischen Terror-Organisation (NATO) aufgerüsteten Freiheitskämpfer für Syrien (A-CIAda) zu bekämpfen, so dass die NATO endlich mit Bombardements wie in Libyen das Volk in die Arme der Muslimbruderschaft treiben muss.

    Und dann noch der „Whistleblower“, den wir wie Assange schon daran erkennen können, dass unsere Massenmedien ihn zum großen Helden aufbauen. Putin scheint aber doch nicht auf den Burschen hereinfallen zu wollen und lässt ihn einfach am Flugplatz auf seine Weiterreise warten:
    http://tarpley.net/2013/06/19/how-to-identify-a-cia-limited-hangout-operation/%E2%80%9C

    Die Massenmedien sind also für das System sehr effizient und sorgen für eine totale Verwirrung bei den leichtgläubigen Bürgern. Eigentlich sind sie die allererste Gewalt gegen unsere Lebensqualität, weil wir ihren Lügen und ihrem Unsinn nicht entgehen können, spätestens im Gespräch mit Freunden, Kollegen und Nachbarn geht es wieder um die Klimarettung und die Helden des Whistleblowings und Syriens bösen Präsidenten und das zerstrahlte Fukushima und was die Leutchens sonst alles aus Zeitung, Radio und Glotze zu wissen meinen.

  • Rainer Großmann 26. Juni 2013, 21:23

    Mir hat der Kommentar von Kai Biermann zu dem Carta-Beitrag von Wolfgang Michal am besten gefallen, weil er es treffend auf den Punkt bringt:

    Ich bin erst seit sechzehn Jahren Journalist. Aber ich habe das Gefühl, dass es nie einen kritischeren, fundierteren und frecheren Journalismus gab als heute. Dank des Internets, das uns Links, Blogs und den Zugang zu grenzenlosen Wissensquellen gegeben hat. Ihre Kritik am Journalismus geht – dabei bleibe ich – von falschen Erwartungen aus.

  • Bonsta 29. Juni 2013, 15:19

    Egal was geschrieben wird, am Ende zählen die Verkaufszahlen. Und wenn sich Hitler auf dem Cover gut verkauft, wird er auch noch Hundert Mal dort auftauchen.

    Allerdings ist das auch nicht ganz so einfach. Profitorientierte Unternehmen sind auch politische Interessenvertreter, was darüber hinaus geht, was sich gut verkaufen lässt. Das in der Bildzeitung für eine Vermögenssteuer geworben wird, kann ich mir nicht vorstellen. Hier gibt es einen klaren Konflikt zwischen den Interessen der Anteilseigner dieses Blattes und seiner Leserschaft. Und selbstverständlich würde so mancher Anzeigeninserent stutzig werden, wenn die Bildzeitung plötzlich für eine knallharte Regulierung des Finanzmarktes streiten würde. Ohne Zweifel sind das beides Dinge, die eine große Mehrheit in der Bevölkerung finden, aber darüber zumindest in diesem Blatt kaum etwas lesen wird.

    Neben boulevardesken Skandaljournalismus lässt sich also sehr wohl auch eine politische Linie erkennen. Dazu kommt noch die Breitenwirkung verschiedener Medien, die aber auch nur erreicht werden kann, wenn man über entsprechenden finanziellen Background verfügt. Dass, um bei meinem Beispiel zu bleiben, die Bild 17 Mio Menschen erreicht, hat nicht nur mit dem Inhalt dieses Blattes zu tun, sondern natürlich auch mit einer ohne Zweifel geniale Verkaufs – und Werbestrategie. Diese allerdings kostet Geld. Und wer Geld braucht, um Breitenwirkung zu erzielen, muss es erstmal einsammeln. Und wer Sammeln gehen muss, muss auch Kompromisse eingehen mit jenen, die das Geld beisteuern.

    Mein Fazit ist also ein anderes: Nicht der Demokratie inhärent ist es, sondern einem Mangel an Gleichgewicht der Machtverhältnisse, der überhaupt erst wirklich demokratische Prozesse ermöglichen würde. Dass die Menschen sich von Politik abwenden, hat mit diesen Machtverhältnissen zu tun, dass die Menschen lieber Dschungelcamp schauen, als eine spannnende Arte-Doku hat eben auch damit zu tun, weil sie die Erfahrung lehrt, gegen diese Verhältnisse doch nichts ausrichten zu können. Also, wozu sich damit belasten? Es ist gar nicht so, dass die Menschen zu doof sind oder kein wirkliches Interesse haben; es gibt eine Vielzahl von Umfragen, die überwältigende Mehrheiten z.B. zum Thema Leiharbeit, Mindeslohn, Kriege, ect. aufzeigen. Natürlich sind die Meinungen in Detailfragen graviernd verschieden. Wer hat schon die Zeit und das Interesse der PR der Inflation auf die Spur zu kommen? Aber mit der real gemessenen Angst vor Inflation könnte ja auch was ganz anderes gemessen worden sein. Angst vor einem Systemkollaps. Dem Normalbürger dürfte es relativ egal sein, ob Deflation oder Inflation daran Schuld sind. Das ist gar nicht der springende Punkt. In allen Gesellschaften zu allen Zeiten gab es und gibt es bei der großen Mehrheit ein – man kann schon sagen – universelles Gerechtigkeitsempfinden, moralische Leitlinien, die beinahe völlig unabhängig sind von kulturellen Einflüssen. Aber dieses Empfinden in Aktionen umzuwandeln, das ist die Schwierigkeit, wenn sich die Machtstrukturen zu sehr verkrustet haben. Dazu braucht es keine Detailkenntnisse, nur einen Auslöser. Manchmal sind das ein paar Thesen an einer Kirchentüre, manchmal ein banales Bahnhofsprojekt. Bis zu einem gewissen Grade lassen sich Spannungen kanalisieren, was gar nicht mal immer verkehrt sein muss, denn eine Eskalation ist keineswegs immer wünschenswert, aber irgendwann, wenn die Widersprüche zu groß werden, kommen die Veränderungen.

    Ob es allerdings je ein dauerhaftes oder überhaupt ein Gleichgewicht der Machtverhältnisse geben kann, das steht in den Sternen. Und wer weiß, vielleicht ist auch das gar nicht unbedingt erstrebenswert. Utopien sind nur solange gut, wie sie unerreicht bleiben.

  • Johannes 15. Juni 2016, 14:30

    Stimme voll und ganz zu!
    Hervorragender Beitrag…

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