Parteien können nichts „versprechen“

Die Bürger glauben den „Wahlversprechen“ der Parteien grundsätzlich nicht mehr. Das ist das vielleicht wenig überraschende Ergebnis des aktuellen Politbarometers:

„Generell meinen 80 Prozent, dass sich die Parteien nicht an ihre Wahlkampf-Ankündigungen halten, wenn sie nach der Wahl an die Regierung kommen. Lediglich 18 Prozent glauben, dass die Wahlkampfversprechen dann auch eingehalten werden.“

Ob sich Parteien tatsächlich „generell“ nicht an ihre Wahlversprechen halten, darf bezweifelt werden. Es gab jedoch zumindest nach den Bundestagswahlen, in denen ich selbst mitgestimmt habe (seit 1998) immer wieder relativ spektakuläre Fälle von nicht gehaltenen Ankündigungen.

Erinnert sei an die Militäreinsätze der Rot-Grünen Regierung im Kosovo, an die Mehrwertsteuererhöhung nach der Wahl 2005 oder eigentlich das komplette Programm von CDU und FDP nach der Wahl 2009. Diese Fälle werden medial sicher mehr diskutiert als gehaltene Versprechen (etwa die rot-grüne Energiewende, Einbürgerungsgesetz usw) und verdichten sich zu diesem negativen Gesamteindruck.

Doch vielleicht muss jenseits dieser konkreten Fälle auch mal die Frage erlaubt sein, inwieweit das Konzept des „Versprechens“ in diesem Zusammenhang sinnvoll ist. Können Parteien überhaupt vor der Wahl etwas versprechen und es danach definitiv auch umsetzen? Viel spricht dagegen:

  • Zwang zum Kompromiss mit dem Koalitionspartner: Im Koalitionsvertrag wird per Definition nicht das Wahlprogramm einer der beteiligten Parteien zu hundert Prozent umsetzbar sein. Darauf könnten sich die Protagonisten sicher noch einstellen, wenn vor der Wahl klar wäre, wer nachher der Koalitionspartner wird. Das ist aber immer seltener der Fall. Verspricht etwa die SPD massive Steuererhöhungen für Reiche, muss dann aber (aus welchen Gründen auch immer) mit der FDP zusammengehen, stehen die Chancen schlecht für dieses Vorhaben. Bei einer Koalition mit den Grünen sähe das hingegen anders aus.
  • Vetospieler: Nur noch die wenigsten Policies werden allein von der Bundesregierung oder der Mehrheit im Parlament entschieden. Bundesrat, EU, Verfassungsgericht usw. bilden mächtige Checks and Balances. Die CDU kann sich in ihrem Wahlprogramm noch so sehr für den Schutz der traditionelle Ehe einsetzen, gegen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist sie machtlos.
  • Sich verändernde Umstände: Wirtschaftslagen, politische Konstellationen und Sachverhalte können sich nach der Wahl ganz anders entwickeln als zuvor gedacht. Andere Umstände verlangen dann oft auch andere Lösungswege. Regieren wird zum Reagieren. Die schönsten Pläne zerbröseln, wenn nach der Wahl plötzlich eine Wirtschaftskrise ausbricht oder andere unvorhergesehene Dinge wie ein Terroranschlag passieren.

Würde es sich nicht also eher anbieten, wenn die Parteien (und auch die Medien) von Zielen und Vorhaben sprechen, anstatt von Versprechen? Der Zynismus der Wähler läuft auch deshalb völlig aus dem Ruder, weil in der medialen Darstellung nicht genug differenziert wird, warum Wahlprogramme teils nicht umgesetzt werden. Liegt es daran, dass es zwar versucht wurde, aber aufgrund von Kompromissen, Sachzwängen, Vetospielern nicht möglich war, oder daran, dass sich Positionen vor der Wahl als unehrlich herausstellen?

So weit ein paar theoretische Überlegungen dazu. Nötig ist jedoch auch eine glaubwürdige empirische Aufarbeitung des Themas. Deutsche Medien könnten sich etwa ein Beispiel an der amerikanischen Seite Politifact nehmen, die Obamas Wahlprogramme und deren Umsetzung dokumentiert.

Bild: Uni Münster

 

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  • In Dubio 29. Juni 2013, 10:53

    Gut auf den Punkt gebracht. Aktuell erfährt schon vor dem eigentlichen Urnengang die Partei Die Grünen die Schzwänge. So haben sich die Ökos vorgenommen, das Ehegattensplitting abzuschaffen und müssen doch gleichzeitig das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Kenntnis nehmen, in dem Karlsruhe erneut und wiederholt der Politik klarmacht, dass das Splitting ein nicht beliebig verhandelbares Äquivalent für die gegenseitigen Unterhaltspflichten von Ehepartnern ist.

    Doch muss das alles so sein? In Frankreich regieren die Sozialisten mit absoluter Mehrheit und müssen deswegen ihren Wählern sehr deutlich eingestehen, dass sie mit ihren Vorstellungen an der Lebenswirklichkeit scheitern. Oder muss es soweit wie in Italien kommen, wo niemand mehr absehen kann, wer regiert? Der heutige Premier stand im Frühjahr nicht mal zur Wahl. Ein Mehrheitswahlrecht und eine Entzerrung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern würden für deutlich mehr Klarheit im politischen Geschäft führen, zumal der Bundesrat ohnehin nur noch mit Obstruktion von Bundesvorhaben befasst ist.

    • Stefan Sasse 29. Juni 2013, 15:19

      Das mit dem Bundesrat würde ich so nicht unterschreiben.

      • In Dubio 29. Juni 2013, 15:53

        In Deutschland hat es eine lange Tradition, dass die Länderkammer bilaterale Vereinbarungen nicht aufhält und die Verhandlung über internationale Abkommen dem Bund überlässt. Der rot-grün dominierte Bundesrat sorgte Ende letzten Jahres für ein Novum in dieser Hinsicht, als er das Steuerabkommen mit der Schweiz aufhielt. Ein Abkommen, das in gleicher Form mit Großbritannien und Österreich in Kraft getreten ist. Die Länder maßten sich an, beurteilen zu können, welches Verhandlungsergebnis mit einem anderen Staat möglich sei. Im Ergebnis bleibt der deutsche Fiskus nun über Jahre schlechter gestellt als der britische, ohne dass die Länder dafür vom bundesdeutschen Steuerzahler zur Verantwortung gezogen werden zu können.

        Es steht zu erwarten, dass bei einer passenden Gelegenheit Vertreter der Parteien CDU und FDP sich für diesen Tabubruch revanchieren werden, wenn die Mehrheitsverhältnisse sich irgendwann wieder umkehren. In der Europapolitik gab es in früheren Jahren bereits den Ansatz, dass die Länder in der Außenpolitik mitmischen wollten. Nun hat die Länderkammer eine neue Tür geöffnet.

        Gleichzeitig kämpfen die Länder gegen den eigenen Bedeutungsverlust an und dies tun sie eben mit besagter Obstruktionspolitik.

        • Stefan Sasse 29. Juni 2013, 17:44

          Die Länder blockieren relativ wenig, trotz allem, und es gab schon blockigere Zeiten – etwa unter Lafontaine in den 90ern.

          • Stefan Pietsch 29. Juni 2013, 18:24

            Wenn man den großen Kreis zieht und berücksichtigt die vielen kleinen Gesetze, die kein politisches Erregungspotential besitzen, so mag das zutreffend sein. In allen anderen Fällen haben die Länder jedoch, soweit sie von der Opposition im Bundestag dominiert wurden, oft Obstruktionspolitik gemacht. Das Problem ist dabei die fehlende Legitimation.

            So war der Bundesrat Ende 2012 kurz davor, die laut Bundesverfassungsgericht eigentlich zwingende Anhebung des Grundfreibetrages im Einkommensteuerrecht zu verhindern oder für die Zustimmung zumindest einen politischen Preis zu verlangen. Die Reduzierung der „Kalten Progression“ dagegen wurde zurückgewiesen.

            Wenn ich nun als Bürger den Verantwortlichen dafür abstrafen will, habe ich ein Problem. Die Anpassung des Einkommensteuertarifs wird als Gesetz vom Bundesfinanzministerium vorbereitet und vom Bundestag verabschiedet. Dort haben die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP zugestimmt. Die linken Parteien haben opponiert, was aber auf den Gesetzgebungsprozess keinen Einfluss hatte. Es wäre folglich unsinnig, mich von den Regierungsparteien abzuwenden. Die Ministerpräsidenten von SPD und Grünen haben dagegen im Bundesrat das Gesetz verhindert. Ich wähle allerdings nicht den Bundesrat und der Ministerpräsident meines Bundeslandes hatte zugestimmt. Doch auch den wähle ich nur indirekt, ohne dass ich wüsste, wie er zu bestimmten bundespolitischen Fragen steht. Ergo: Ein Gesetz, das ich für richtig und wichtig halte, wurde verhindert ohne dass irgendjemand dafür die politische Konsequenz fürchten muss.

            Genau das fördert die politische Verantwortungslosigkeit.

          • Stefan Sasse 29. Juni 2013, 21:18

            Dass die Vetospieler sind, auf die der Wähler keinen Einfluss hat, ist ja verfassungsmäßig gerade beabsichtigt.

          • In Dubio 30. Juni 2013, 08:18

            Nun ja, ein fragwürdiges Argument. Heute wird ja selbst die Verbindung von Homosexuellen als verfassungsrechtlich schützenswert angesehen, obwohl 1949 Schwulsein noch als strafwürdiges Vergehen galt. Damals waren auch nur weniger als 20% der Gesetze zustimmungspflichtig, heute sind es über 80%. Man darf bezweifeln, ob das mit der verfassungsrechtlich geregelten „Zustimmungspflicht“ gemeint war.

            Außerdem ist ein Veto immer obstruktiv. Eine Vetomacht gestaltet nicht, sie lehnt ab. Und das tut nunmal derjenige gern, der mit keiner Gestaltungsmacht ausgestattet ist.

            Das ist nicht gut, das ist in diesem Umfange nicht gewollt und das ist auf keinen Fall demokratisch („Alle Macht geht vom Volke aus“). Da rettet nicht mal der Verweis, dass Regierungen repräsentativ gewählt werden. Das Elektorat bestimmt die Ministerpräsidenten nicht für die Regelung von Bundespolitik.

          • Stefan Sasse 30. Juni 2013, 17:16

            Die Prozentzahlen waren mir so nicht bekannt; ich dachte, es liegt bei 60%. Und die Föderalismusreform II von 2006 hat das bereits reduziert.

          • Marc 1. Juli 2013, 08:53

            @Stefan Sasse
            Die Prozentzahlen waren mir so nicht bekannt; ich dachte, es liegt bei 60%. Und die Föderalismusreform II von 2006 hat das bereits reduziert.
            Das stimmt ja auch und zwar auf 39 %: Bundesrat Statistik

          • Stefan Sasse 1. Juli 2013, 10:30

            Dachte doch gleich dass die 80% wesentlich zu hoch gegriffen sind. 40% scheint mir doch ein angemessener Wert zu sein.

          • In Dubio 1. Juli 2013, 13:38

            Die Zahlen hatte ich aus dem Gedächtnis aus einem Zeitungsbericht. Das Wesentliche ist jedoch, dass seit Gründung der Bundesrepublik die Mitsprache des Bundesrates eher zugenommen hat. Noch wichtiger ist, wie die zweite parlamentarische Kammer oft für politische Spiele missbraucht wird. So wurden in der Nachkriegszeit, als die sich im Bund befindlichen Oppositionsparteien keine Mehrheit in der Länderkammer besaßen, nur sehr wenige Gesetze des Bundestages zurückgewiesen. Dies änderte sich, als ab 1969 die sozialdemokratische Koalition stets gegen eine andere Mehrheit im Bundesrat anregieren musste. In der Zeit stieg die Zahl der aufgehaltenen Gesetze auf 7-9 pro Legislatur. Mit Antritt der Regierung Kohl war es mit dieser Art der Opposition vorbei, bevor sich Anfang der 1990er Jahre wieder die Vorzeichen änderten und in der Wahlperiode 1990-1994 insgesamt 13 Gesetze aufgehalten und zurückgewiesen wurden.

            Um 2000 beschloss und verkündete der Bundeskanzler Gerhard Schröder eine umfassende Steuerreform. Und obwohl laut Grundgesetz der Regierungschef die Richtlinien der Politik bestimmt, war schon am nächsten Tag allen Kommentatoren klar, dass dieses Vorhaben so nie Gesetzeskraft erlangen würde. Und so kam es: In der Länderkammer nötigte das von einer sozialdemokratischen Koalition regierte Rheinland-Pfalz den Sozialdemokraten eine weitere Senkung des Einkommensteuerspitzensatzes von avisieren 45% auf 42% ab. Obwohl diese weitreichende Steuersenkung auf das Konto der in Opposition befindlichen FDP ging, wurde die Tat an sich stets der Regierung Schröder angelastet / gutgeschrieben. Dies ist ein sehr klassischer Beweis, wie in unserer Demokratie Verantwortung und Zuständigkeit auseinanderfallen.

          • Stefan Sasse 2. Juli 2013, 07:19

            Deine Zahlen stimmen hinten und vorne nicht. Laut der Statistik des Bundesrats war die Zahl zustimmungspflichtiger Gesetze zwischen 1949 und 1994 52%, ging zwischen 1994 und 1998 auf 59% und dank danach auf den heutigen Stand von 40%. Im Mittel der bundesdeutschen Geschichte sind es 50%. Von den 875 Gesetzen, die seit 1949 in den Vermittlungsausschuss kamen, sind dann immerhin 109 abgelehnt worden – das macht von den insgesamt 7469 Gesetzen, die der Bundesrat seit 1949 beraten hat, einen verschwindend geringen Anteil aus. Soviel zur ach so schlimmen Obstruktion des Bundesrats. Das ist ein Drohmittel, eine Möglichkeit in einer konsensualen Demokratie Einfluss zu nehmen, nicht mehr.

            http://www.bundesrat.de/cln_320/nn_9546/SharedDocs/Downloads/DE/statistik/gesamtstatistik,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/gesamtstatistik.pdf

  • Gerald Fix 29. Juni 2013, 14:54

    Politiker und Parteien agieren nicht im freien Raum. Sie müssen zwischen dem abwägen, was umsetzbar ist und dem, was Stimmen bringt. Das ist nicht immer leicht.

    Was wäre, wenn eine Partei nur noch von Zielen und Vorhaben spräche? Würden die Medien das akzeptieren oder würden sie die Wahlaussagen noch stärker anzweifeln: Guckt mal, die machen nicht mal mehr Versprechen, sondern nur noch vage Andeutungen? Ich befürchte das.

    • Stefan Sasse 29. Juni 2013, 15:18

      Zumindest wäre etwas Zurückhaltung angemessen. Man hat’s beim CDU-Programm gesehen.

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