Es geht nicht um den Excel-Fehler – das Problem ist die Realität

Der Wirtschaftswurm hat auf meine zugegebenermaßen reichlich sarkastische Kritik reagiert:

Reinhard, Rogoff und viele andere, darunter auch ich, sind nun der Meinung, dass das nicht alles sein kann, zumindest dann nicht, wenn man auch die mittlere und lange Frist betrachtet. Unter bestimmten Bedingungen bringt Neuverschuldung nicht nur keinen positiven Effekt, sondern ist sogar schädlich für die Wirtschaft. Wie könnte es sonst überhaupt zu Staatsbankrotten kommen?

Damit habe ich das wissenschaftliche Paradigma formuliert, das ich meine. Auf diesem Paradigma aufbauend ist es weiterhin sinnvoll, wenn Ökonomen sich auf die Suche nach den Bedingungen machen, unter denen Neuverschuldung mittel- und langfristig schädlich ist. (Quelle)

Ok, das ergibt mehr Sinn. Zu der Frage

„Unter bestimmten Bedingungen bringt Neuverschuldung nicht nur keinen positiven Effekt, sondern ist sogar schädlich für die Wirtschaft. Wie könnte es sonst überhaupt zu Staatsbankrotten kommen?“

gibt es aber zumindest eine einfache Antwort: wenn die Schulden aufgenommen werden, ohne dass dem neue Werte entgegenstehen, dann kann das natürlich schnell zu einem Staatsbankrott führen. Kosten für Kriegführung, Bankenrettungen oder Steuererleichterungen für Milliardäre etwa haben keine Chance, allzuviel Positives zum BIP beizutragen. Gleiches gilt, wenn der Staat einfach nur Geld irgendwo investiert, dass investiert ist – Brücken ins Nirgendwo, Überkapazitäten in irgendwelchen subventionierten Branchen, etc.

Aber: diese Dinge kann ich eben nicht aus Zahlen zur Verschuldung ziehen, und das ist wo meine Kritik letzten Endes ansetzt. Ich fürchte, dass es nicht wirklich möglich ist, mit den Verschuldungsquoten (ob Netto, Neuverschuldung oder Brutto macht wenig Unterschied) irgendein aussagekräftiges Modell zu betreiben. Letztlich wird man davon Abstand nehmen müssen, allgemeingültige Modelle erstellen zu können; das ist für mich die Hauptkonsequenz aus R&R (siehe auch mein Beitrag hier). Es führt wohl kein Weg daran vorbei, jeden Fall auf seinen eigenen Grundlagen zu bewerten und entsprechend die Daten der Umstände einzubeziehen. Es ist verlockend, ein Welterklärermodell zu erschaffen, aber klügere Menschen als die aktuellen Ökonomen haben das versucht und sind gescheitert.

Das natürlich ist kompliziert und erlaubt keine schönen Schlagzeilen. Es erlaubt uns außerdem nicht, Wirtschaftsmaßnahmen über transnationale Institutionen durchzuplanen. Sieht man allerdings die Konsequenzen einer ökonomischen One-size-fits-all-Politik an, so ist das wahrlich kein Verlust. Weder hat die IWF-Politik des absoluten Freihandels im Sinne der WTO für die Entwicklungsländer die erwünschten Ergebnisse gebracht, nur weil diese Politik den Industrieländern Wachstum und Wohlstand beschert hat, noch erweist sich das deutsche Fiskal- und Wirtschaftsmodell als angemessen für alle Staaten der Europäischen Union (genausowenig wäre im Übrigen das britische oder das französische Modell für alle sinnvoll). Ich fürchte deswegen, dass die Suche, die der Wirtschaftswurm hier ausruft, einen Irrweg in die Sackgasse darstellt.

{ 9 comments… add one }
  • Der Mitleser 29. April 2013, 20:04

    Der Bau von Brücken ins Nirgendwo ist gerade kein gutes Beispiel für Investments ohne positive BIP-Auswirkung, auch wenn die Metapher natürlich griffig ist. Einfaches Beispiel: Die Behörde A beauftragt Baufirma B mit dem Bau einer völlig sinnlosen Brücke. Dafür werden Steuergelder aufgewendet, die dann an B ausgezahlt werden. B bezahlt davon die Brückenbauteile, die extra angefertigt werden müssen und von C gefertigt werden, sowie die Mitarbeiter. C kauft Rohstoffe, die für die Anfertigung der Bauteile benötigt werden und bezahlt wiederum die Mitarbeiter, etc. Letztendlich entsteht also ein eigene Produktionskette und ein Mehrkonsum der Arbeiter mit enstsprechenden Folgeeinkommen, der ohne den Brückenbau gar nicht notwendig gewesen wäre. Das BIP steigt.

    • Der Mitleser 29. April 2013, 20:07

      Ersetze „notwendig“ im letzten Satz durch „möglich“. Gibt es eine Edit-Funktion, die ich übersehe?

      • Stefan Sasse 30. April 2013, 09:06

        Zwar steigt dadurch das BIP, aber das Geld ist für nutzlosen Quatsch aufgebracht worden. Genausogut könnte ich Löcher graben und zuschütten. Die Brücke muss schließlich gewartet werden, wenn sie nicht verrotten soll (wie alle Infrastruktur) und das kostet später weiter Geld. Und dieses in nutzlose Infrastruktur gesteckte Geld steht nicht für sinnvolle Investments zur Verfügung.

        • Marc 30. April 2013, 09:35

          Zwar steigt dadurch das BIP, aber das Geld ist für nutzlosen Quatsch aufgebracht worden.

          Richtig, dem BIP ist es egal, ob das Geld sinnvoll oder nutzlos verwendet wurde. Das BIP kann durch einen heißlaufenden Finanzmarkt mit unglaublich innovativen Produkten in ungeahnte Höhen getrieben werden, wobei eine solide Wirtschaft mit gesunden Bildungsinvestitionen ein geringeres BIP erzielt. BIP ist pure Quantität, es sagt nichts über Qualität aus. Daher ist jeder Quatsch in der Lage, ihn steigen zu lassen. Die alleinige Fixierung auf das BIP-Wachstum hilft daher wenig.

          Und dieses in nutzlose Infrastruktur gesteckte Geld steht nicht für sinnvolle Investments zur Verfügung.

          Diese Aussage ist falsch. Konjunkturprogramme sind in der Regel schuldenfinanziert, es wird zusätzliches Geld geschöpft und ausgegeben. Ohne die Schulden des Konjunkturprogramms gibt es einfach nichts weiter. Es gibt keine Form der Verdrängugn oder ähnliches, einfach nur nichts.

          Das Gegenteil ist der Fall, erst wenn der Staat durch die Konjunkturprogramme stabile Einnahmen in der Krise für die Unternehmen schafft, können diese sich wieder leichter verschulden und sinnvoll investieren.

          Die Idee der Konjunkturprogramme ist nicht, etwas sinnvolles zu schaffen, sondern ein Zündfunke zu sein, der den stotternden Motor der Privatwirtschaft wieder in Gang setzt. Es ist natürlich sinnvoller, ein nachhaltiges Konjunkturpaket zu schüren, aber nicht unbedingt notwendig.

          • Der Mitleser 30. April 2013, 09:52

            Letztendlich ist jede staatliche Ausgabe nichts anderes, als eine Form der Umverteilung. Im Brückenbeispiel eben von der Allgemeinheit in den Bausektor. Im Fall der Bankenrettung in den Bankensektor. All diese Maßnahmen tragen schon zum BIP bei, allerdings nicht zur Vermehrung des Wohlstands. Durchaus diskutieren kann man jetzt natürlich die Frage, ob es nicht trotzdem sinnvoll ist „Wohlstand“ nach unten (die Bauarbeiter, um im Bild zu bleiben) zu verteilen, da dort der Hauptteil wieder verkonsumiert wird.

    • MacPaul 30. April 2013, 10:11

      Blödsinn! Man stelle sich vor, man würde das nur noch so machen, auch in anderen Fällen. Dann wurde zwar gebaut, aber nur des Bauens wegen. Die Bauten haben keinen Sinn und (langfristigen) wirtschaftlichen Nutzen und irgendwann geht dann gar nix mehr, weil alle Brücken ins Nichts führen.

      • Der Mitleser 30. April 2013, 11:39

        Niemand hat vor eine Brücke zu bauen 😉

        Mit meinem Kommentar wollte ich lediglich klarstellen, dass auch unsinnige Investments BIP-positiv wirken können. Wie Marc oben geschrieben hat, ist der BIP nun mal als Kenngröße von „Verschwendung“ herzlich wenig zu gebrauchen. Dafür bietet sich eher eine eine Zielanalyse an: Konnte mit meinem staatlichen Konjunkturprogramm „Brücke ins Nichts“ die Baubranche erfolgreich belebt und der Konsum erhöht werden? Falls dieses Ziel erreicht wurde, ist es letztendlich egal, ob die Brücke (die fünfte Uni, der tiefste Tiefbahnhof, die pompöseste Philharmonie) an sich wirtschaftlich sinnvoll ist.

  • chriwi 30. April 2013, 06:28

    Sehr schön zusammengefasst. Die „ökonomischen One-size-fits-all-Politik“ wird häufig in Diskussionen angewandt. Die Realität ist grau und dennoch wird versucht sie in Schwarz/Weiß zu tranformieren. So kommt man dann auch zu den absurden Behauptungen der Markt sei immer besser, bzw. der Staat kann alles regeln. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.
    Allerdings diskutiert es sich in der Mitte nicht so schön. Die Extreme polarisieren eben und machen mehr Spaß.

    • Stefan Sasse 30. April 2013, 09:07

      habe heute noch einen Artikel rausgehauen, der versucht die Attraktivität dieser Politik zu erklären.

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