Das Zeitungssterben als Lifestyle-Element

Für das objektiv kaum zu verleugnende Zeitungssterben werden viele Gründe angeführt. Wer die Leitmedien schon immer kritisiert hat weiß, dass die Qualität furchtbar ist. Viele Meldungen werden nur von dpa übernommen, eigene Recherche kaum betrieben und die Journalisten sind in einem Dickicht aus PR und Lobby-Interessen gefangen. Fragt man die Verlage, liegt die Schuld beim Kunden, der nicht bereit ist, für „Qualitätsjournalismus“ Geld auszugeben und lieber eine „Kostenloskultur“ im Netz pflegt. Fragt man Zyniker, erklären die, dass die Leute eben kriegen, was sie wollen – stupiden Boulevard statt fein recherchierter Analysen. Ich behaupte, dass die Krise der Zeitung – der Tageszeitung zuvordererst – eine Lifestyle-Krise ist. Genauer, dass sie mit dem Ende eines Life-Styles zusammenhängt und dass guter Journalismus sowieso noch nie verkauft wurde.

Die Auflage von Tageszeitungen geht durch die Bank zurück. Verglichen mit den 1970er Jahren sind Auflageneinbußen zwischen 20 und 50% die Norm. Der Einbruch der Werbeeinnahmen ist sogar noch wesentlich schärfer und bewegt sich eher im Bereich 60 bis 70%. Keine einzige Zeitung, nicht einmal die mächtige BILD, ist davon ausgenommen. Ich behaupte, dass das Kernproblem nicht in einem allgemeinen Qualitätsverfall dieser Zeitungen besteht. Ein wichtiger Grund – zu einem anderen kommen wir gleich – ist vielmehr ein Life-Style-Wandel.

Tageszeitungen sind kein Produkt, das normalerweise vollständig konsumiert wird. Die Käufer, die diese unpraktischen, großformatigen Papierwüsten wirklich von vorne bis hinten lesen sind an einer Hand abzuzählen. Das wäre für viele zeitlich auch gar nicht machbar. Stattdessen ist die Zeitung eher ein Ding, das man sich aus einer Art Tradition heraus besorgt. Ich rede hier übrigens ausdrücklich von der gedruckten Zeitung, deren Krise die offenkundigste ist.

Das Problem ist, dass offensichtlich immer weniger Menschen die Tageszeitung als ein unverzichtbares Element ihres Tagesrhythmus betrachten. Es ist ein Problem, das die Zeitungsverlage mit den Bäckern teilen. Deren Sterben zugunsten qualitativ minderwertiger „5 Brezeln zum Preis von 4“-Ketten hat auch damit zu tun, dass die frischen Brötchen am Morgen oder Kaffee und Kuchen am Nachmittag für viele Menschen keine Bestandteile des Alltags mehr sind. Denn, und das ist die brutale Wahrheit, die Tageszeitungen bieten inhärent nichts, das man nicht aus anderer Quelle erfahren könnte. Aktuelle Nachrichten bekomme ich abends kondensiert in der Tagesschau (und über deren Niveau gehen die meisten Zeitungen ohnehin nicht hinaus) und den Lokalteil gibt es auch in den kostenlosen Werbeblättern.

Lamentiert man nun das Sterben des so genannten „Qualitätsjournalismus“, also gut recherchierer Artikel und wohlfundierter Meinungen, nachdenklicher Analysen und pointierten Kolumnen, so muss man sich klarmachen, dass diese Art von Journalismus sich noch nie ausgezahlt hat. Zum einen machte er unter der Masse der journalistischen Produkte schon immer nur eine kleine Minderheit aus, und zum anderen wird er wesentlich weniger konsumiert, als dies im selbsreferentiellen System der Presse häufig den Anschein hat. Diese Art der Krise hat den Journalismus seit jeher im Griff. Die bittere Wahrheit ist, dass echter Qualitätsjournalismus ein Produkt ohne Käufer ist, oder besser: ein unverkäufliches Produkt. Zumindest im Rahmen einer Tageszeitung, die ein Massenprodukt sein will und sein muss.

Denn eine Tageszeitung erscheint, wie es der Name impliziert, täglich. Ihr Preis muss daher für ein tägliches Produkt bezahlbar bleiben. Während es vorstellbar ist, etwa für die „ZEIT“ 10 Euro pro Ausgabe zu bezahlen (40 Euro im Monat sind zu verkraften) ist dieser Preis für eine Tageszeitung unmöglich. Sie ist daher noch mehr als andere Printformate, auf Werbung angewiesen. Der massive Einbruch der Werbeeinnahmen aber hängt mit zwei wesentlichen Punkten zusammen. Einerseits ist die Datenlage durch das Internet wesentlich besser geworden. Dort kann man klar sehen, wie gut eine Werbung die Adressaten erreicht (nämlich erschreckend schlecht) und entsprechende Rückschlüsse über die Effizienz von Printwerbung ziehen. Andererseits schlägt auch hier das Lifestyle-Element zu: wenn eine Firma es nicht mehr als Frage des Prestiges ansieht, für ihr Produkt ganzseitig in der Zeitung zu werben, wird sie diesen Effizienzverlust nicht mehr hinzunehmen bereit sein. Ergo der gewaltige Einbruch. Werbung in ihrer früheren Form ist schlicht ineffizient. Ob sie es schon immer war oder erst durch die veränderten Mediengewohnheiten wurde ist schlechterdings kaum festzustellen, weil belastbare Daten erst für Internetwerbung verfügbar sind.

Das Zeitungssterben hat somit ein weiteres Elternteil neben den vieldiskutierten weiteren, etwa einer verbreitete „Kostenloskultur“ und was der Erklärungen nicht mehr sind. Das Produkt selbst – nicht einmal so sehr der Inhalt „Nachrichten“ an sich -, nämlich eine gedruckte, dicke Papierzeitung mit vielen Rubriken, von denen häufig die Hälfte nicht relevant für den individuellen Leser ist, wird zunehmend unattraktiv. Und dagegen hilft kein Leistungsschutzrecht der Welt.

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